Stefanie Jeller
Mit 18 ging ich nach Israel. Ich „las“ die Bibel in der Landschaft der judäischen Wüste und in den Hügeln rund um den See Gennesaret. Ich war verzaubert. Da waren sie alle: der Sämann aus dem Gleichnis, die Fischer mit den Booten und der Auferstandene mitten unter uns. Ich lernte Theologiestudierende kennen, Priester und Mönche, ich saugte alles auf, was sie sagten. Dann kaufte ich mir meine erste Bibel, blau, in Hosentaschenformat. Danach studierte ich Theologie. Ich musste seltsam gewirkt haben, denn jemand fragte mich, ob ich außer der Bibel auch etwas kenne?
Mit 30 reiste ich nach Indien, die kleine blaue Bibel im Gepäck. Dort gab es andere Heilige Schriften, mit denen man schlechte Politik machte. Mir war natürlich bewusst, dass auch die Bibel dazu verwendet wurde, zu unterdrücken und zu morden. Sie verlor für mich ihre Unschuld. Konnte man alles hineinlesen? Der Monsun prasselte auf uns nieder, im Tempel sangen sie Lieder und ein indischer Jesuit las Jesaja: „Wie der Regen vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt, ohne die Erde zu tränken… so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, ohne zu erreichen, wozu ich es ausgesandt habe.“ Ein neuer Zauber ging von diesen Worten aus.
Heute mache ich Radiosendungen und stelle ungewohnte Fragen: Wie liest eine Frau, die erblindet ist, die Geschichte von der Heilung des blinden Bartimäus?
Die Bibel ist Wort Gottes, aber wir Lesenden sind Menschen. Ihre gute Wirkung entfaltet die Bibel für mich immer im Miteinander mit weisen und gütigen Menschen.
Stefanie Jeller, Journalistin und Redakteurin „radio klassik Stephansdom“