Andreas Ruthofer
Wenn ich die Bibel aufschlage und darin lese – etwa um mich auf eine Lesung für den Sonntagsgottesdienst, auf eine meiner biblischen Lehrveranstaltungen an den Theologischen Kursen vorzubereiten, oder einfach nur so, zwischendurch – dann ist das für mich nicht einfach nur die Lektüre alter, ehrwürdiger Texte, nicht nur das Lesen der Heiligen Schrift, die mir seit meiner Kindheit wichtig, wert und lieb ist.
Es ist für mich auch und vor allem die Teilhabe an der Gemeinschaft derer, die diese Texte verfasst haben, die darin sich und ihre Erfahrungen, ihre Freude wie auch ihr Leid, ja ihr ganzes Leben vor Gott gebracht haben, in den Erzählungen, Gebeten, in den Psalmen und Klageliedern. Im Lesen dieser Texte, habe ich teil an den sich darin ausdrückenden Erfahrungen, im Beten der Psalmen solidarisiere ich mich mit jenen, die sie geschrieben und ursprünglich formuliert, gesungen, vor Gott gebracht haben – aber auch mit jenen, die sie heute beten, um ihr eigenes Empfinden, die eigenen Sorgen und Ängste in diese Texte hineinzulegen und so vor Gott zu tragen, weil ihnen vielleicht die eigenen Worte dafür fehlen.
Zugleich aber kommuniziere ich – die Bibel lesend, betend und hörend – mit dem, der in den Texten zu uns spricht und erlebe, erfahre ihn als mich anredenden, mir zuhörenden, mich tröstenden, ermutigenden, mich an- und kritisch hinterfragenden Gott.
Insofern ist das Lesen der Bibel für mich weit mehr als Lektüre eines Buches oder einer Schriftensammlung – es ist vielmehr ein lebensrelevantes Rezipieren und aktives, solidarisches Mittragen biblischer Texte, ein Hören auf Gottes mich darin ansprechendes Wort, das mich anhält, antreibt, mein Leben – Tag für Tag – danach auszurichten.
Andreas Ruthofer
Fachinspektor für Religion an AHS und BMHS, Wien